Andelfinger of February 14, 2020
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Andelfinger Zeitung of February 14, 2020
Andelfinger Zeitung:
Als die PTT Piraten jagte
In den 70er-Jahren gab es in der Deutschschweiz nur zwei Radiosender:
DRS1 und DRS2. Dagegen kämpfte eine Gruppe Jugendlicher an, zu der
auch Matthias Knill gehörte. Doch die Radiopiraten wurden vom Staat
gnadenlos verfolgt.
von Dominik Müller 14. Februar 2020
Das Bild aus dem Jahr 1980 zeigt die Piraten Matthias Ackeret sowie
Oliver und Matthias Knill vor der Gedenktafel auf dem Cholfirst. / zvg
Wer nach 1980 geboren ist,
kann sich kaum eine Vorstellung von der Ödnis machen, die vor 1983
auf einheimischen Radiofrequenzen herrschte. In der Schweiz gab es
für jede Sprachregion nur gerade zwei offizielle Programme. Wer
sich aber für anderes als traditionelle Volksmusik, seichtes
Unterhaltungsgedudel oder bildungsbürgerliche Inhalte interessierte,
fand beim Landessender kaum ein Angebot. Für vier Schaffhauser
Kantonsschüler ein unzumutbarer Zustand. Sie gründeten das
Piratenradio "Tutti Frutti". Illegal. Einer von ihnen war der Uhwieser
Matthias Knill.
Die Landessender DRS#1 und DRS#2 richteten sich an ein älteres
Publikum, die Zielgruppe der Jugendlichen wurde nicht bedient. Anders als
andere Piratenradios (etwa Radio 24, siehe Kasten) war "Tutti Frutti"
nicht auf einer politischen Mission. "Wir wollten die Frequenzen mit
Rock- und Popmusik beleben", sagt Matthias Knill. Wir, das sind die
Gebrüder Matthias und Oliver Knill, heute Kommunikationsberater
beziehungsweise Mathematikprofessor, sowie Matthias Ackeret und Julian
Schütt, beide im Journalismus tätig.
Die technische Entwicklung und der Preiszerfall machten es möglich,
dass sich die Schüler für weniger als hundert Franken
einen Sender basteln konnten. Für die Technik war Oliver Knill
zuständig. Sendeplatz war meist der Cholfirst, unweit der
Sportanlage Eggen in Flurlingen. Den Sender mindestens fünf
Meter in die Höhe ziehen, und fertig war die Sendestation. Strom
lieferte eine Autobatterie. Um auf ihre Sendungen aufmerksam zu machen,
behalfen sie sich laut Matthias Knill einer List: "Für kurze Zeit
überlagerten wir das offizielle Programm von DRS und kündigten
unsere Sendung an." Und sie wurden gehört. Die Hörer sollen
eine rote Fahne an ihr Velo hängen, verkündeten sie über
den Sender; am nächsten Tag war im Velounterstand der Kantonsschule
Schaffhausen mancher Drahtesel verziert. "Das hat uns schon stolz
gemacht."
Hausdurchsuchung durch die PTT Ein harmloses Schülerprojekt,
möchte man meinen. Umso mehr erstaunt, wie sehr dieses dem Staat ein
Dorn im Auge respektive im Ohr war. Die damaligen Post-, Telefon- und
Telegrafenbetriebe (PTT) als Hüterin des Monopols der SRG setzte
alles daran, dem Tun ein schnelles Ende zu setzen. Mit Peilsendern
machte die in Winterthur stationierte Staatsbehörde Jagd auf die
Radiopiraten. "Etwa 40 Minuten lang konnten wir senden, bis sie uns
gefunden haben", so Matthias Knill. Sie hätten die PTT-Wagen
mit ihren Sendemasten nicht zuletzt dank der strategisch cleveren,
erhöhten Lage auf dem Cholfirst frühzeitig erkannt. Danach
musste es schnell gehen. Die Kantischüler nahmen die Beine in
die Hand, die PTT hinterher. "Manchmal mussten wir sogar den Sender
zurücklassen."
Obwohl die Flucht jedes Mal gelang, kamen die Piraten nicht ungeschoren
davon. So erfolgte auch einmal eine Hausdurchsuchung. "Unser Vater
hat nicht schlecht gestaunt", so Matthias Knill. Der Sender wurde zwar
nicht gefunden, dafür aber Funkgeräte. Die Busse belief sich
auf 800 Franken. "Ganz schön viel Geld damals." Ob sie das von
ihrer musikalischen Mission aufgehalten hat? Mitnichten. "Tutti Frutti"
sendete moderne Musik, bis die gemeinsame Schulzeit zu Ende ging.
Wenn Radiostationen heutzutage Kontakt mit ihren Hörern haben, rufen
die meist direkt ins Studio an. Oben auf dem Cholfirst undenkbar, zumal
das Handy noch gar nicht erfunden war. Trotzdem kamen die Zuhörer
im Programm von "Tutti Frutti" zu Wort: Über den Sender wurde
die Nummer einer Telefonkabine in Schaffhausen bekanntgegeben. Dort
war Julian Schütt vor Ort und hielt ein Funkgerät dicht ans
Telefon. Gleiches tat der Moderator Matthias Ackeret auf dem Hügel
mit dem Mikrofon, und schon liefen die Zuhörerreaktionen live
über den Sender.
Fanpost via Norwegen Noch um einiges umständlicher gestaltete sich
der Umgang mit Fanpost. Wer den Piraten schreiben wollte, schrieb als
Adresse ein Postfach in Bergen aufs Couvert. Die Stadt in Norwegen ist
rund 2000 Kilometer vom Cholfirst entfernt, aber nur so konnte die
Briefpost an der PTT vorbeigeschleust werden. Organisiert wurde der
Transport von einem Verein für Piratenradios.
Matthias Knill erinnert sich gerne an seine wilde Jugendzeit: "Es war
aufregend, das staatliche Monopol zu durchbrechen und zur Medienvielfalt
beizutragen." Die Zeiten von Piratenradios sind seit der Öffnung
des Marktes 1983 vorbei. Auf dem Cholfirst erinnert noch immer eine
Gedenktafel an das Treiben der Uhwieser Jugendlichen. Auf ihr steht
geschrieben: "An diesem heiligen Ort hat sich Radio #Tutti Frutti#
für die Freiheit des Äthers aufgeopfert. Möge der Gedanken
an diese heldenhafte Tat ewiglich wahren. Fortes fortuna." Heute darf
sich Matthias Knill sogar öffentlich zum damaligen Abenteuer
bekennen - die Straftaten des 56-Jährigen und seiner Kollegen sind
verjährt.
Wo andere Radiopiraten nur Nadel-stiche platzieren konnten, versetzte
Radio 24 dem SRG-Monopol innert Kürze den Todesstoss. Und wer hats
erfunden? Radiopionier Roger Schawinski natürlich. Nachdem Italien
als erstes europäisches Land den Radiomarkt 1976 liberalisiert
hatte, deklarierte Schawinski sein Radio 24 drei Jahre später als
italienisches Lokalradio und sendete mit einer riesigen Antenne vom
Gipfel des Pizzo Groppera, sodass man die Sendungen auch in Zürich
hören konnte. 1980 demonstrierten in Zürich über 3000
Personen gegen die Stilllegung von Radio 24. Im Juni 1983 bewilligte
der Bundesrat schliesslich Privatradios. (dom)