Gefährlicher "Sport"
Das Geheimnis der
Springer vom RheinfallDas Geheimnis der Springer vom Rheinfall von
Felix Burch - Vor den Augen von Touristen springen Einheimische in die
reissenden Fluten des Rheinfalls. Wie unüberlegt und gefährlich
dies ist, erklärt einer, der heute nicht mehr springt.
Dass dies extrem gefährlich ist, versteht sich von selbst. Was
alles passieren kann bei diesem fragwürdigen "Freizeitsport",
dürfte dennoch nicht allen klar sein, die sich vom Geländer
stürzen. Prisca Wolfensberger, Mediensprecherin der Schweizerischen
Lebensrettungs-Gesellschaft (SLRG), sagt: "Man muss genau wissen,
wohin man springt." Nicht nur der Sprung selber sei gefährlich,
auch das anschliessende Schwimmen im schäumenden Wasser sei sehr
schwierig. "Das Gefährlichste aber ist, dass solche Sprünge
Nachahmer auf den Plan rufen, die keine Ahnung haben, worauf sie achten
müssen", so Wolfensberger. Die vielen Touristen zum Beispiel
könnten auf die Idee kommen, dies nachzumachen, was fatal enden
könnte. Wolfensberger appelliert deshalb an die Springer, sie
sollten sich bewusst sein, dass sie gegenüber ahnungslosen Dritten
auch eine gewisse Verantwortung tragen.
Die Springer stören die Schifffahrt
Am Rheinfall selber sind die Springer vielen ein Dorn im Auge. Bei der
Firma "Schifffahrt am Rheinfall" heisst es, die Springer würden
den Linienverkehr stören. "Sie erschweren unseren Kapitänen
die Arbeit", sagt ein Angestellter, der nicht erwähnt werden
möchte. Die Schiffsführer hätten schon genug anderes,
worauf sie sich konzentrieren müssten, die Springer in den
tosenden Massen seien schlecht sichtbar, und bei einem Unfall sei ein
Kapitän verpflichtet zu helfen. Es kam schon mehr als einmal vor,
dass Rheinfall-Springer in ein Schiff gerettet werden mussten. Der
Polizei ist die Szene ebenfalls bekannt. Etwas gegen die Springer tun,
ist aber schwierig, da es kein Gesetz gibt, das das Springen ins Wasser
verbietet. Die Polizei rät allerdings davon ab und bestätigt,
dass es schon zu Unfällen gekommen ist.
Einer, der heil davongekommen ist, heisst Benni Wüest. Wüest
ist heute 35 Jahre alt. Von seinen Eltern bekam er die ersten
Geschichten über Menschen zu hören, die in den Rheinfall
springen. Später arbeitete er für die Rundfahrtschiffe, die
zum Felsen im Rheinfall fahren. Er verkaufte Tickets, fuhr aber auch oft
mit und lernte den Fall so besser kennen. Im Winter begutachtete er die
Stelle, wo er später reinspringen sollte, genauestens. "Weil der
Wasserstand während der Wintermonate tiefer und das Wasser glatter
und klarer ist, sieht man viel mehr, kann allfällige Untiefen
ausmachen", sagt Wüest. Zudem gebe es eine Möglichkeit, nahe
an die Eintauchstelle zu gelangen, um diese noch besser zu inspizieren,
sich näher heranzutasten.
"In der Oberstufe lauschte ich den Geschichten der Grösseren, die
schon gesprungen waren, und irgendwann wurde ich gefragt, ob ich mitkommen
wolle." Wüest war damals 15 oder 16 Jahre alt. Gesprungen wird immer
mindestens zu dritt. Und zu dritt gingen sie auch aufs "Känzeli" an
diesem Sommertag. "Auf der einen Seite ist da der Gruppendruck, ich war in
der Mitte, auf der anderen Seite hat man wahnsinnigen Respekt." Dann sei
alles sehr schnell gegangen. "Du steigst aufs Geländer, wartest kurz
auf das Zeitfenster, das du einhalten musst, wegen der Rundkursschiffe
und dann springst du einfach", so Wüest.
"Für ein paar Sekunden bist du dem Rhein völlig ausgeliefert"
Gleich nach dem Eintauchen kommt eine heikle Phase. Zwar springen
die Jugendlichen in einen Korridor, in welchem es keine Walzen oder
Strudel gibt, dennoch ist das Wasser sehr unruhig. "Das Wichtigste
ist jetzt, dass du einfach die Luft anhältst, keine Panik
bekommst und wartest, bis dich die Strömung erfasst und vom Fall
wegdrückt." Für ein paar Sekunden sei man dem Fluss total
ausgeliefert, sei orientierungslos. Es ist dunkel dort unten und sehr
laut. Dazu kommt, dass das schäumende weisse Wasser nicht trägt
(beim Eintauchen fühlt es sich jedoch weicher an). Deshalb tauchen
die Springer erst nach endlosen Sekunden viel weiter unten im ruhigeren
Wasser auf. Auf dem "Känzeli" beobachtet dies ein Kollege, um im
Notfall sofort Alarm schlagen zu können.
Das Geheimnis wird von Generation zu Generation überliefert
Jetzt lauert laut Wüest die grösste Gefahr, die
Rundfahrtschiffe. Ist der Sprung nicht richtig getimt, komme man den
Schiffen mit ihren starken Motoren in die Quere, und das könnte
verheerend enden.
Wüest sprang danach immer wieder. Es habe zum Ferienalltag in der
Oberstufe gehört. Unabhängig voneinander bestätigen
mehrere Personen, sie seien früher gesprungen, das habe
dazu gehört bei den Jugendlichen, die am Rheinfall wohnten -
offenbar hauptsächlich auf der Zürcher Seite. Das Wissen,
das Geheimnis, sei von einer Generation zur nächsten weitergegeben
worden. Seit diesem Jahr ist der Weg, der zum "Känzeli" führt,
gebührenpflichtig. Das führte zu einer merklichen Abnahme der
Sprunghäufigkeit. Wüest springt schon seit fünf Jahren
nicht mehr, sein Video auf YouTube ist noch älter. Heute sagt er:
"Erst jetzt ist mir bewusst, wie viele Risiken das Springen beim Rheinfall
birgt. Es ist viel gefährlicher, als ihr denkt."
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