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Quelle: SN
Feuerzauber - Feuerdampf: Eine Impression zu Rheinfallbeleuchtung
Marcus Knill
Seit frühester Kindheit pilgerte ich oft zur obligaten
Rheinfallbeleuchtung am 1. August. Ich wuchs im Elternhaus in Neuhausen
am Rheinfall auf. So wie sich meine Ohren ans Tosen des Rheinfalls
gewöhnt haben, so hatte auch für mich auch der Feuerzauber am
1. August am Rheinfall eine besondere Anziehungskraft ausgeübt. Die
Flammennymphen, die bunten Funkenkaskaden, die riesigen Feuerblumen aber
auch die ruhigen bengalischen Beleuchtungselemente faszinierten mich
jedes Jahr von Neuem. Doch beobachtete die Rheinfallbeleuchtung bis
anhin immer aus einer gewissen Distanz. Dieses Jahr begab ich mich nun
zum ersten Mal mitten ins Zentrum des Geschehens. Ich suchte mir einen
günstigen Platz aus vor der Schlossmauer im Laufen unmittelbar
vor den Abschusspositionen einiger Raketen. Der Fall und der Felsen
mit dem Rheinfallbecken hatte ich voll im Blickfeld. Ich ahnte nicht,
dass dies für mich das eindrücklichste Erlebnis von allen
Rheinfallevents werden würde.
Bereits die ersten Feuergarben deckten mein ganzes Gesichtsfeld ab. Ich
wähnte mich im All, als ob ich durch ein Sternenmeer in den Himmel
gezogen würde. Ein herrliches Gefühl. Die Abschussdetonationen,
das Heulen der Raketen und die heftigen Detonationen weckten
zwangsläufig Assoziationen: Ich habe zwar keinerlei konkrete
Kriegserfahrung. Ich war noch nie in einem echten Feuergefecht an
der Front. Die Kriegsbilder kenne ich lediglich aus gut gemachten
Kriegs- und Dokumentarfilmen. In diesen Streifen ist jedenfalls auf
dem Gefechtsfeld ist das Heulen der Raketen ähnlich zu vernehmen
wie beim Rheinfallfeuerwerk. Es gibt auch im Krieg Feuerbälle am
Nachtbilder. (Ich denke an die Abschussserien von Stalinorgeln) Das Heulen
und Pfeifen von Granatkugeln wird in den Filmen ebenfalls zelebriert.
Assoziationen an solche Sequenzen wurden mir so nahe am gesrigen
Geschehen wach. Auch bei Bombardements kommt es zu eindrucksvollen
optischen Feuerbildern. Beleuchtungskörper wurden im Krieg ebenfalls
abgeschossen und schwebten lange am Himmel- das Gefechtsfeld erhellend. So
wie am Rheinfall ist in allen Kriegsberichten auch von Feuerbällen,
Rauchschwaden, Pulverdampf und Explosionen die Rede.
Im Unterschied zu den Lichtkaskaden im Krieg haben jedoch Feuerzauber
und explodierende Raketen an der Rheinfallbeleuchtung keine
zerstörerische Wirkung. Es gibt bei diesen friedlichen Raketen und
Knallorgien weder Tote noch Verwundete oder Zerstörungen. Der Feuer-
und Farbenzauber will die Zuschauer lediglich begeistern. Er lässt
uns für einige Minuten den Alltag vergessen.
Vielleicht ist es gewagt, wenn wir es wagen, den Knall- und Feuerzauber
über dem Rheinfall als "sublimierten Krieg" bezeichnen. Doch ist
der Vergleich Krieg und Frieden im Zusammenhang mit dem friedlichen
Feuerwerk bestimmt nachvollziehbar.
Das Eintauchen in die Raketenwelt hatte jedenfalls für mich an
diesem ersten August etwas Einmaliges, Packendes. Ich wähnte
mich mitten in einer virtuellen Welt. Ich wurde für Sekunden,
Minuten dem Alltag entrückt und konnte durch das direkte Erleben
alles um mich vergessen. Nebenbei wurde mir dann auch doch gewahr,
dass eine Frau neben mir wie nach einem Schock aus der Menschenmasse
getragen werden musste. Ich wusste nicht, ab sie aus Angst, Panik
oder durch die Knallerei geschwächt aus der Masse getragen werden
musste. Das Martinshorn eines Krankenwagens machte mir hernach bewusst,
dass auch ein friedliches Feuerwerk das Befinden eines Menschen negativ
beeinflussen kann. Wer weiss, ob diese ältere Dame nicht in der
Jugend von einem Kriegserlebnis geprägt war und die friedlichen
Raketen in ihr wieder böse Assoziationen wach gerufen haben.
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