12 Oktober 2024
So feierte Schaffhausen früher |
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Schaffhauser Nachrichten vom 12. Oktober 2024
So feierte Schaffhausen früher: Rückblick auf die
berühmt-berüchtigtsten Discos der Region
Ralph Denzel, 12. Oktober, 2024
Schon immer wollte sich die Jugend ausleben - und fast genauso lang
gab es Reibereien zwischen denen, die Party machen wollten und denen,
die das nicht verstanden. Das gutbürgerliche Schaffhausen war da
keine Ausnahme. Wir blicken zurück auf die berühmtesten -
und wohl auch berüchtigtsten - Discos und Clubs von früher.
"In Schaffhausen läuft immer etwas, wenn es auch nur die Wasserhahnen
sind." Das sagte 1985 der 18-jährige Andre bei einer Umfrage der
"Schaffhauser Nachrichten", die sich ins Nachtleben der Munotstadt
stürzten und dafür die Partygänger nach ihren Erfahrungen
befragten. Eine etwas harsche Aussage, gab es doch auch früher
schon einige berühmt-berüchtigte Ausgehorte.
Leider muss man so ehrlich sein: Schaffhausen war schon damals "Blos
e chliini Stadt", in der Leute, die in den "Usgang" gehen wollten,
mal früher, mal später, an die "bürgerlichen Wänd"
stiessen. Das zeigen einige Beispiele legendärer Locations - die
bis heute Nostalgie in den damaligen Besuchern auslösen und teils
auch nie ganz aus Schaffhausen verschwanden.
1978 wurde der Laden eröffnet, direkt unter einem Wohnhaus -
Reibungspunkte waren praktisch vorprogrammiert. Auf der einen Seite
die Jugendlichen, die tanzen, sich ausleben und feiern wollten, auf
der anderen Seite Bewohner, die meisten älteren Semesters. Es war
ein perfekter Sturm, der sich hier in Neuhausen zusammenbraute. Die
Jugendlichen fluteten den Laden, machten Party, waren ausgelassen -
und brachten so manchen Anwohner an den Wochenenden um den Schlaf.
Vielleicht nicht der beste Ort für eine Disco, direkt unter einem
Wohnhaus. Bild: Eberhard Lukas
In den SN beschwerten sich die genervten Anwohner über "Sex auf
Grundstücksmauern", übelste Beleidigungen durch Discobesucher,
die regelmässig von der Disco auf "heulenden Mopeds" in die Neuhauser
Nacht starteten. Vom allgemeinen Disco-Lärm ganz zu schweigen.
Diese Abneigung manifestierte sich regelmässig in
Unterschriftenaktionen beim Gemeinderat, in denen sie versuchten,
Betreiber Jürg Muri und sein Etablissement wieder aus der
beschaulichen Gemeinde zu vertreiben. Das "Terminus" fand seine Fans -
sehr zum Leidwesen vieler Anwohner. Bild: SN-Archiv
Letztlich landete die gesamte Sache sogar vor Gericht - welches
aber zugunsten des "Terminus"-Betreibers urteilte. Dieser versuchte,
den Anwohnern mit Modifizierungen in seinen Boxen entgegenzukommen,
bat regelmässig die Gäste, sie mögen sich draussen
ruhig verhalten - aber es brachte nicht viel. Die Fronten waren so
verhärtet, dass manche Anwohner öffentlich in den SN dem Wirt
sogar Gewalt androhten.
So weit wollte man es natürlich nicht kommen lassen, und der
Neuhauser Gemeinderat schickte verstärkte Kontrollen zu dem
Laden. Manche nannten es "Schikane", andere "Recht und Ordnung".
1979, knapp ein Jahr nach der Eröffnung, gab Betreiber Muri auf:
Die Gemeinde entzog ihm die verlängerte Polizeistunde übers
Wochenende. Später wurde daraus ein Cabaret, ehe es wieder in ein
Restaurant umgewandelt wurde.
Besonders skurril: 1981 wurde dort der Weltrekord im "Dauerjodeln"
aufgestellt. Ob das die Anwohner weniger nervte als die Disco-Musik,
ist unklar.
Im Jahr 1977 eröffnete Marco Gruber, von dem auch der Name für
die Disco stammte, das "Marco Polo". In der gutbürgerlichen Welt
wurde der Laden schnell ein Ort für Tanzfreudige. Das könnte
auch an dem Kultfilm "Saturday Night Fever" liegen, der ein Jahr nach
der Eröffnung des Ladens in die Kinos kam und die Jugend anzog. Der
Film bildete die, für viele ältere Generationen, suspekte
Disco-Subkultur in all ihren Facetten ab. Wer also Ende der 70er ins
"Marco Polo" kam, konnte dort ebenfalls die Schaffhauser Version dieses
farbenfrohen und rigorosen Zugriffs auf das amerikanische Entertainment
erleben.
Die SN beschrieben die Szenen, die sich damals in der Disco abspielten,
wie folgt: "Wochentagsüber huschen sie wie graue, unauffällige
Mäuse herum, am Samstagabend jedoch geraten sie in den Discotheken
in Fieber und beginnen zu leben."
Die Disco war gut besucht - zu gut sogar. Dadurch, dass die
Räumlichkeiten relativ klein waren, mussten manche vor der
Tür bleiben, was dazu führte, dass es meistens sehr laut
dort zuging. Anwohner beschwerten sich über den Lärm des
"Nachbarn". Die Folge: Die Stadtpolizei entzog der Disco 1980 die
Sondergenehmigung für Öffnungszeiten bis 2 Uhr morgens an
Freitagen und Samstagen.
Dabei war das "Marco Polo" ein Bedürfnis der Jugendlichen in
der Stadt. Das Thema schlug damals so hohe Wellen, dass sogar der
damalige Stadtpräsident Felix Schwank intervenierte. Am Ende konnte
man eine Lösung finden und die Disco konnte wieder bis 2 Uhr ihre
Tore öffnen.
1985 wurde die Disco umgebaut, ging mehr in Richtung "Mainstream": Neben
Discomusik wurde jetzt auch Pop gespielt, in der Mitte wurde eine Theke
eingebaut. Damit ging man mit der Zeit, war der Discotrend doch schon
einige Jahre vorbei. Die Klientel wandelte sich: "Das Marco Polo ist
einfach ein Laden, wo man hingehen kann, um zu konsumieren", sagte ein
Schaffhauser Jugendlicher den SN im Jahr 1985. Schaffhauser Jugendliche
"im Uusgang", ca. 1986. Bild: SN-Archiv
Aus der Disco wurde eine Musikbar, die Besitzer wechselten immer
wieder. 1997 stand der Kultladen sogar kurzzeitig vor dem Konkurs:
Ganze drei Tage prangerte "Bis auf Weiteres geschlossen. Konkursamt
Schaffhausen" an der Tür, aber der Laden hielt sich noch eine Weile.
2001 wurde dann aus dem "Marco Polo" die "Key Bar".
Wie gross die Sehnsucht nach der alten Disco allerdings war, sieht man
wohl an der "Marco-Polo-Revival-Party", die Marco Gruber 1999 in der
Kammgarn schmiss: Gegen 1000 Personen folgten damals der Einladung.
All die 25- bis 60-Jährigen, für die es in Schaffhausen
damals dann keine Ausgehlokale mehr gab, waren sich laut den SN einig:
"Endlich einmal ein Fest, bei dem nicht jeder über 20 gleich als
Gruftie bezeichnet wird."
Im Vergleich zu den anderen Discos schien die "Chiesgrueb" eher "brav"
daherzukommen. Alkoholfreie Getränke, direkt unter einer Kirche -
trotzdem fand die 1976 eröffnete Disco ihr treues Publikum. Es war
eine Jugend-Disco, hier schien die Welt in Ordnung zu sein. In den SN
finden sich nicht, wie bei den anderen Discos, schmuddelige Geschichten
oder Skandale, die in einem Namenzug mit der "Chiesgrueb" genannt werden.
Nur Bands, Kritiken zu Bands, die sich hier die Ehre gaben, oder weitere
Errungenschaften, wie ein Ausbau 1986. Der war auch nötig, zog
die kleine Disco doch ihr Publikum an, in Spitzenzeiten strömten
700 bis 800 Personen in den Laden. Volle Hütte unter der Kirche:
eine Party in der "Chiesgrueb". Bilder: zvg
Von der Ausstattung her musste sich die "Chiesgrueb" aber nicht
vor den "grossen" Discos verstecken: Light-Show mit Nebelmaschine,
Spiegelkugeln und weitere technische Attraktionen warteten im Inneren auf
die Besucherinnen und Besucher, die sich von der 1200-Watt-Musikanlage
beschallen lassen wollten.
Es hätte die wunderschöne, perfekte Symbiose aus
bürgerlicher Spiessigkeit und jugendlicher Wildheit werden
können, für den Laden und die Besucher, die mit 14 Jahren
eintreten durften.
Allerdings kamen im Laufe der Jahre Probleme, speziell in Form von
Skinheads. Diese randalierten regelmässig vor den Türen
der Disco, bedrohten die Gäste und hinterliessen Scherben auf
angrenzenden Kinderspielplätzen. Die Betreiber riefen um Hilfe,
aber die kam nur sporadisch von der Stadt.
Das hätte die Disco vielleicht verkraftet, aber nicht den
eigenen Erfolg: Die Hunderten Leute, die regelmässig in die Disco
strömen wollten, sorgten für Platzprobleme, bis die Feuerpolizei
des Kantons einschritt und der Disco ein Besucherlimit auferlegte. Dieses
lag bei 450 Personen. In der Folge wurden Memberkarten eingeführt
und die Kontrollen an der Tür verschärft.
Trotzdem wollten immer mehr Jugendliche als erlaubt in die Disco.
Dies führte zu Problemen beim Eingang und Lärmbelästigungen
im Quartier. Es kam, wie es kommen musste: Die Stimmung bei den Besuchern
und beim Leitungsteam war getrübt, die Besucher blieben fern,
der Spass war irgendwann vorbei, und so kam es 1991 zur Schliessung.
Aber: Auch wenn die "Chiesgrueb" in ihrer jetzigen Form nicht mehr
existiert: Den Sound und das Gefühl der damaligen Zeit kann man
weiter erleben. Der Verein "Chiesgrueb Revival Disco Schaffhausen"
organisiert bis heute Revival-Partys, die an die unbeschwerte Zeit in
der Disco unter der St. Peter erinnern.
"Früher ging ich in die O.K.-Disco. Doch inzwischen kann ich
mit jenen Leuten nicht mehr reden. Sie sind in einer ganz anderen
Gedankenwelt", sagte 1986 die damals 18-jährige Evelin den
"Schaffhauser Nachrichten". Was meint sie wohl damit? Das war in den
80ern Mode, auch im "O.K.". Bild: SN-Archiv
Untrennbar mit dem Namen "O.K." ist der Name Mike Lotz verbunden. Lotz,
der Muskelprotz, wie manche ihn nannten. Lotz war eine beeindruckende
Gestalt, ein selbsternannter "Selfmade-Man", der in die bürgerliche
Welt Schaffhausens mit seinem forschen Auftreten ungefähr so passte
wie Orangensaft in Ovomaltine.
Trotzdem traf er einen Nerv in der Stadt, als er mit dem "O.K." in
der Mühlenstrasse die grösste Disco der Ostschweiz
eröffnete. Die Jugend strömte die in die Räumlichkeiten, in
denen Lotz auch immer wieder spektakuläre Events veranstaltete. 1984
etwa, als in seiner Disco ein "Breakdance-Wettbewerb" angeboten wurde,
1986 fand eine Disk-Jockey-Meisterschaft dort statt. Der Besitzer
jedoch war ein eigenwilliger Charakter, der immer mehr wollte. So
betrieb er nebenbei noch zwei Fitnessstudios, eines in Winterthur,
eines in Schaffhausen. Der klangvolle Name "Sie+Er".
Auch seine eher zwielichtigen Geschäftspraktiken machten ihn
über die Kantonsgrenzen hinaus berühmt. 1988 lief gegen ihn
ein Verfahren, nachdem er beschuldigt worden war, einen Brand in einer
Schülerdisco in Feuerthalen gelegt zu haben. Zusammen mit seiner
Frau soll er zudem ein Bordell in Büsingen eröffnet haben
- zumindest, bis sich die Bevölkerung in der Enklave auf eine
sehr kreative Art dagegen wehrte und vor seinem Haus einen Misthaufen
platzierte.
Das war nicht das Einzige, was dem Muskelberg zur Last gelegt wurde.
Affären mit einer Minderjährigen, Drogenhandel - auch das
stand im Zusammenhang mit dem Discobetreiber.
Das störte derweil nicht alle im Schaffhauser Partyvolk. Die Disco
war zwar "typisch" für die damalige Zeit, mit Sonnenschirmen und
Palmenwedeln in den Ecken, Disco-Spots, die Licht auf die Tanzfläche
warfen, lange Drinks mit gekrümmten Trinkhalmen, Fauteuils,
in die sich Verliebte versenken konnten. Und "natürlich mit
höchster Schubkraft durch die Boxen gejagte Discosounds", wie die
SN 1987 schrieben.
Die Schaffhauserinnen und Schaffhauser hatten jedoch teils ein
gespaltenes Verhältnis zu dem Laden. Lag das auch an Lotz? Es ist
nicht klar. Für manche war er ein schmieriger Bodybuilder, dessen
Skandale und Aussehen manchmal die Lust an dem Laden verdarben, für
andere stand die Party vor Ort im Vordergrund - und die lief meistens gut.
Heute erinnert wenig an die wilde Zeit, die sich in der Mühlenstrasse
abspielte. Nur, wenn man mit Leuten spricht, die damals die wilden
Zeiten im "O.K." selbst erlebten, merkt man wieder das alte Fieber,
dass sie wohl auch damals reihenweise in den Laden zog.