Suedkurier of November 11, 2020
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Leserbrief vom 11. November 2020
Leserbrief vom 11. November 2020
Leserbriefe vom 18-20. November 2020
Sued Kurier vom 11. November, 2020
Im Suedkurier
schreibt Gudrun Trautmann über die Pläne des Kantons, den Rheinfall zur
Energie-Nutzung zu brauchen.
Aus dem Rheinfall bloss kein Rinnsal machen: Schaffhausen streitet um
mehr Wasserkraft aus seinem Naturmonument
Der Kanton will die Gewinnung von Wasserkraft-Energie am Rheinfall
ausbauen. Das würde aber bedeuten, dass weniger Wasser die
Felsen hinabstürzt. Kritiker warnen davor, das Naturmonument
und die Naturattraktion anzutasten. Der Rheinfall bei Schaffhausen:
Mit seinen gewaltigen Wassermassen ist er nicht nur Tourismusmagnet,
sondern auch Energielieferant. Der Kanton will die schon bestehende
Wasserkraft-Nutzung ausweiten – doch dann würde weniger Wasser
die Felsen hinabstürzen. Kritiker warnen vor Schäden an der
Natur und vor weniger Anziehungskraft für Touristen. Der Rheinfall
bei Schaffhausen: Mit seinen gewaltigen Wassermassen ist er nicht nur
Tourismusmagnet, sondern auch Energielieferant. Der Kanton will die schon
bestehende Wasserkraft-Nutzung ausweiten - doch dann würde weniger
Wasser die Felsen hinabstürzen. Kritiker warnen vor Schäden
an der Natur und vor weniger Anziehungskraft für Touristen.
von Gudrun Trautmann
Heiss geliebt und stark umworben, das ist die Rolle des Schaffhauser
Rheinfalls in Neuhausen. Das Naturschauspiel ist ein Magnet für
Touristen aus aller Welt; und seine Naturgewalt weckt Begehrlichkeiten
bei der Energiebranche. In diesem Spannungsfeld steht die seit Jahren
schwelende Diskussion zum Ausbau der Wasserkraft.
Was für die Natur- und Landschaftsschützer ein absolutes Tabu
darstellt, ist für die Energiewirtschaft höchst erstrebenswert.
Befeuert werden diese Gedanken durch die Pläne der Schweizer
Bundesregierung zur Energiewende. Im Kantonsrat Schaffhausen gibt es nun
einen Vorstoss zur Ausweitung der Energiegewinnung am Rheinfall. Doch das
würde auch heissen, dass weniger Wasser die Felsen hinabstürzt -
und deshalb regt sich Widerstand.
Das Nein der Stimmbürger
Zwar haben die Stimmbürger des Kantons Schaffhausen der intensiveren
Nutzung der Wasserkraft am Rheinfall bereits 2014 in einer Volksabstimmung
eine Absage erteilt; ein Vorstoss im Kantonsrat zur Lockerung der
Nutzungsbeschränkung auf knapp 30 Kubikmeter Wasser pro Sekunde
könnte das klare Votum aber aushebeln.
Als Argument für seinen Antrag zur Änderung von Artikel 19 des
Wasserwirtschaftsgesetzes (WWG) führt Kantonsrat Thomas Hauser die
in der Schweiz beschlossene Energiestrategie 2050 an. Darin geht es neben
dem geplanten Atomausstieg auch um die Stromerzeugung aus erneuerbarer
Energie, also auch Wasserkraft.
Der Antrag bezieht sich auf Gutachten, wonach sich die Stromproduktion
durch technische Eingriffe an Rhein, Wutach und Biber um rund 65 bis
126 Gigawattstunden pro Jahr erhöhen liesse. Den grössten
Effekt könnten laut Potenzialanalyse die 23 Meter Fallhöhe
am Rheinfall erzielen. Touristen sind fasziniert vom Rheinfall in
Schaffhausen. Touristen sind fasziniert vom Rheinfall in Schaffhausen.
Heute erzeugt das Rheinkraftwerk Neuhausen (RKN) am Rheinfall bei einer
Nutzung von 30 Kubikmeter Wasser pro Sekunde rund 45 Gigawattstunden im
Jahr. Laut Studie sind das acht Prozent des Mittelwasserabflusses. Die
Leistung könnte sich nach entsprechenden Genehmigungen verdreifachen.
Das RKN hat die Nutzungsrechte seit 1951 inne. 2030 endet die
Konzession. Bis zum 27. Dezember 2020 muss der Kanton Schaffhausen
die Kraftwerksbetreiber über die weiteren Pläne
informieren. Mittlerweile hat der Kantonsrat entschieden, dass die
Konzession nicht verlängert wird und der Kanton das Kraftwerk
ab 2031 in Eigenregie betreibt. Dem sogenannten Heimfall hat der zur
Hälfte beteiligte Kanton Zürich bereits ebenfalls zugestimmt.
Mehr fliessen als tosen: Der Rheinfall bei Schaffhausen beim Niedrigwasser
im Sommer 2018. Kritiker von mehr Wasserkraft am Rheinfall warnen davor,
dass ein starker Eingriff auch weniger Wasser am Wasserfall bedeuten
würde.
Für den Kanton Schaffhausen ist der Rheinfall energiepolitisch wie
ökonomisch interessant. Teile der Anlagen gehen unentgeltlich
an den Kanton über; für die trockenen Anlagen werden
Entschädigungen fällig. Wie die Nutzung der Wasserkraft
künftig gestaltet wird, muss jetzt weiter geklärt werden.
"Der Kanton kann das Kraftwerk selber betreiben, eine eigene Gesellschaft
gründen oder sich einen Betreiber suchen", erklärt Patrick
Spahn, Sekretär des kantonalen Baudirektors Martin Kessler,
die Varianten. "Denkbar wäre sogar, dass das RKN wieder mit im
Boot wäre."
Nachdem die Konzessionsfrage recht geräuschlos geklärt
wurde, dürfte die beantragte Änderung des Artikels
19 im Wasserwirtschaftsgesetz für erheblich mehr Getöse
sorgen. Schlagzeilen aus den 2010er Jahren werden gleich wieder lebendig,
als schon einmal über die stärkere Verstromung des Rheinfalls
diskutiert wurde.
"Rinnsal statt Rheinfall" titelte der Deutschlandfunk 2013; die Berner
Zeitung schrieb: "Der Rheinfall könnte zum Mini-Fall werden", und die
NZZ konstatierte im Mai 2014: "Rheinfall unter Druck." Im Oktober 2018
beobachtete der SÜDKURIER: "Geröllhalde statt Wassermassen -
Der trockene Sommer nimmt dem Rheinfall die Kraft."
Letzteres Szenario beschreibt, was Umwelt- und Naturschützer
befürchten, wenn der Mensch noch stärker in den Flusslauf
eingreift und die Wasserkraft intensiver als bisher zur Energiegewinnung
nutzen würde.
Kreis Waldshut In vier bis acht Jahren soll es weitere Brücken
über den Rhein in die Schweiz geben In Waldshut über die
Rheinbrücke in die Schweiz: Ein bekanntes Nadelöhr am Hochrhein,
wo sich der Verkehr oft staut. Eine weitere Rheinbrücke bei Waldshut
soll den Verkehr am bestehenden Grenzübergang entlasten –
Deutschland und die Schweiz sind sich einig.
Doch wie stark wirkt sich eine stärkere Nutzung der Wasserkraft
überhaupt auf das spektakuläre Naturschauspiel des Rheinfalls
aus? In dem Kulturprojekt "Reality", das seit 31. Juli zu sehen ist,
wurde der Wasserfall 2019 täglich einmal fotografiert. Die Fotos
zeigen, dass das menschliche Auge unterschiedliche Wasserstände
nicht wahrnehmen kann. Es ist nicht erkennbar, ob 30 oder 60 Kubikmeter
Wasser pro Sekunde herabstürzen.
Furcht um Naturmonument
Raimund Rodewald, Geschäftsführer der Stiftung Landschaftsschutz
Schweiz, ist nicht grundsätzlich gegen die Nutzung von Wasserkraft
am Rhein. Das bestehende Rheinkraftwerk sei kein Problem. Etwas mehr
Wasserkraft könne man auch am Seitenarm nutzen, nicht aber
am Rheinfall selbst. "Das ist der wichtigste Wasserfall an einem
der wichtigsten Ströme Europas", sagt Rodewald, der selbst aus
Neuhausen stammt. "Er wird seit Jahrhunderten von Menschen besucht,
die fasziniert sind von der Urkraft der Natur." Raimund Rodewald ist
der Geschäftsführer der Stiftung Landschaftsschutz in der
Schweiz. Raimund Rodewald ist der Geschäftsführer der Stiftung
Landschaftsschutz in der Schweiz.
Den Gedanken aus einem Gutachten, dem Wasserfall nachts mehr Energie
für Stromgewinnung zu entziehen und Touristen tagsüber das volle
Spektakel zu bieten, bezeichnet Rodewald als antiquiert. "Wir setzen
ein Monument von internationaler Bedeutung aufs Spiel, weil der Mensch
in seinem unstillbaren Hunger nach Energie ungenutzte Kilowattstunden
verwerten will", kritisiert er.
Dem Wasserfall eine Arbeitszeit zu verordnen, widerspreche der
Ökologie. Es gehe nicht nur um die Fische, sondern um den
einzigartigen Lebensraum der Wasserfälle. Es müsse
gesetzlich vorgesorgt werden, dass Naturmonumente wie der Rheinfall
keine Opfer der Energiestrategie werden. Und hier vermisst Rodewald die
länderübergreifende Zusammenarbeit im Bodenseeraum. Denn der
Rheinfall sei Identitätsträger für die gesamte Region.
Begehrte Wasserkraft
1948 erteilten die Kantone Schaffhausen und Zürich
der Interessengemeinschaft Aluminiumwerke Neuhausen AG (heute
Rheinkraftwerk Neuhausen AG, RKN) das Recht zur Errichtung und zum
Betrieb einer Wasserkraftanlage am Rhein bei Neuhausen. Die Anlage ging
1950 in Betrieb. Die Wasserrechtskonzession der RKN läuft am 27.
Dezember 2030 aus. Die RKN hat beim Kanton Schaffhausen einen Antrag
auf Erteilung einer neuen Konzession gestellt. Nach der Schweizer
Wasserrechtsgesetzgebung ist der Kanton verpflichtet, mindestens
zehn Jahre vor Ablauf der Konzession, also bis 27. Dezember 2020,
eine Entscheidung zu fällen und das Unternehmen darüber
zu unterrichten. Der Kantonsrat hat mit grosser Mehrheit entschieden,
den sogenannten Heimfall auszuüben und die Konzession der RKN nicht
zu verlängern.
Gudrun Trautmann Gudrun Trautmann ist seit 1989 Mitglied der
SÜDKURIER-Redaktion. Nach ihrem Studium der Germanistik und Anglistik
in Münster und Freiburg, das sie mit dem Magisterabschluss beendete,
zog es sie in den Hegau nach Singen, wo sie ihren beruflichen wie privaten
Mittelpunkt fand. Im Singener Redaktionsteam hat sie als stellvertretende
Redaktionsleiterin in den vergangenen 30 Jahren nahezu alle wichtigen
lokalpolitischen, sozialen wie kulturellen Entwicklungen im Hegau
kritisch begleitet.