22 November 2024
Als die Bomben fielen auf Feuerthalen und Flurlingen |
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Schaffhauser Nachrichten vom 22. November 2024
Zweiter Weltkrieg Als die Bomben fielen: Warum auch Feuerthalen und Flurlingen
am 1. April 1944 getroffen wurden. Roland Müller, Freitag, 22. November, 2024
Erwin Müller zeigte auf, wie die verschiedenen Geschwader von England
Richtung Ludwigshafen und Schaffhausen flogen. Bild: Roland Müller
Am 1. April 1944 ist die Stadt Schaffhausen bombardiert worden, auch
die östlich angrenzenden Dörfer und Gebiete wurden dabei in
Mitleidenschaft gezogen. Basierend auf offiziellen Berichten zeigte
Erwin Müller im Zentrum Kohlfirst viele Hintergründe auf.
Das Unheil begann am Vortag, als die auf mehreren Basen in England
stationierte 8. US-Luftflotte einen Bombenangriff auf den Industriekomplex
IG Farben in Ludwigshafen am Rhein fliegen sollte. Doch das Wetter
verhinderte dieses Vorhaben. Es musste um einen Tag und somit auf den
1. April 1944 verschoben werden. "Kurz vor 7 Uhr stiegen sieben Geschwader
mit 408 Bombern und 475 Jägern angeführt von "¹Pfadfindern"º von
ihren Basen auf, obwohl das Wetter nicht besser war", führte Erwin
Müller aus, der sich für das Museum im Zeughaus in Schaffhausen
engagiert und sich umfassend mit den vielen offiziellen Berichten rund um
dieses tragische Ereignis auseinandergesetzt hat. Doch als Folge eines
Navigationsfehlers brachen über die Hälfte der Flugzeuge den
Einsatz ab und drehten ab.
Die übrigen bemerkten zu spät, dass sie ihr Ziel um 200
Kilometer verfehlt hatten. Zwei Geschwader mit 115 Flugzeugen drehten
nun ebenfalls ab und bombardierten die Gelegenheitsziele Strassburg und
Pforzheim. Das 14. Bombergeschwader mit 47 Bombern flog aber weiter und
näherte sich von Nordwesten her Schaffhausen. Dies im Glauben, es
sei Ludwigshafen. Um 10.16 Uhr musste aber der erste Angriff abgebrochen
werden, weil beim Pfadfinder wiederum der Radar ausgefallen war und der
Bombenschacht klemmte, sodass er die Zielmarkierung nicht abwerfen konnte.
Um 10.55 Uhr fallen die Bomben
Der Verband überflog die Stadt und nach der Sicht der Alpen drehten
sie eine grosse Schlaufe über Wil (SG) und Frauenfeld. Noch ahnte
niemand in der Stadt, was nun in den nächsten Minuten passieren
wird. Müller zitierte dabei aus dem Bericht der Stadtpolizei die
Situation kurz vor dem Abwurf: "Schönes klares Wetter, windstill. Auf
den Strassen der Altstadt mit Ausnahme der Bahnhofstrasse herrschte
gewohnt reger Verkehr. Der Markt auf dem Herrenacker neigte sich dem Ende
zu. Auf dem Markt waren noch ca. zehn Händler und wenige Kunden."
Doch dann um 10.55 Uhr: "Die erste Sektion mit 15 Flugzeugen öffnete
die Schächte und entlud zielgenau die Last von 598 Brand- und 180
Sprengbomben", so Müller. Zudem wurden auch vier weitere 500 Pfund
schwere Sprengbomben abgeworfen. Die zweite etwas höher fliegende
folgende Sektion erkannte den Irrtum, flog weiter und entlud auf ihrem
Rückflug ihre Bombenlast zufälligerweise über Grafenhausen.
Vier Trefferzonen
In und um Schaffhausen sind vier Trefferzonen registriert worden. Die
ersten beiden Bombenzüge erstreckten sich vom "Buchberg"
südwestlich von Diessenhofen bis zum Paradies. Der zweite mit Bomben
eingedeckte Streifen zog sich von Unterschlatt bis zum Kyburgerstein
südlich von Langwiesen auf dem Kohlfirst. "Dies ist auf den
Pfadfinder der führenden 392. Bombertruppe zurückzuführen,
welcher aus unerklärlichen Gründen das Ziel zu früh
markiert hatte", sagte Müller. Auf die Bindfadenfabrik fielen
27 Bomben, wobei deren zwölf Fabrikhallen trafen. Bild: Roland
Müller
Diese für Schaffhausen vorerst verschonenden Bombardements
verursachen nur Landschäden. Im dritten Abschnitt vom Kohlfirst
wurden die Bindfadenfabrik in Flurlingen sowie das Mühlenquartier mit
Urwerf bis zum Engeweiher mit einem Bombenhagel eingedeckt. Am meisten
Opfer verursachte aber die Abwurfzone zwischen Feuerthalen über
die Altstadt und den Bahnhof bis zur Steigkirche. Am Bahnhof sorgte
auch eine 500 Pfund schwere Sprengbombe für die meisten Opfer,
indem 18 Menschen ihr Leben verloren.
An jenem Morgen arbeiteten in der Bindfadenfabrik in Flurlingen 400 der
600 Mitarbeiter. Gesamthaft wurden über dem Fabrikareal 27 Bomben
abgeworfen, wobei deren zwölf Fabrikhallen trafen. Wie ein Wunder
wurden aber nur vier Personen schwer und weitere 16 leicht verletzt. In
den folgenden Wochen mussten auch für die 133 zerstörten
Wohnungen Ersatz gefunden werden. Die Lösung wurde in dezentral
erstellten Barracken gefunden. So wurden auch in Flurlingen als einer der
fünf Standorte an der Gründenstrasse sechs Wohnungen realisiert.