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23 November 2024

Wie das Muenster Schaffhausen entstand

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SN vom 22. November 2024

Schaffhauser Nachrichten vom 22. November 2024
 Vor 975 Jahren besucht Papst Leo IX. am 22. November 1049 Schaffhausen
 und segnet den Auferstehungsaltar und den Baugrund des Klosters
 Allerheiligen. Die 15 Jahre später geweihte grandiose Kirchenanlage
 " dem Heiliggrab und Golgotha in Jerusalem nachempfunden " hat jedoch
 nur kurzen Bestand: Bereits 1080 wird Schaffhausen regionales Zentrum
 der von Cluny-Hirsau ausgehenden Kirchenreform. Mit baulichen Folgen.
 
 Immer am Freitag um 12 Uhr läutet die Grosse Glocke im Münster
 Schaffhausen in Erinnerung an die Passio Christi " und den Besuch
 von Papst Martin V. am 15. Mai 1418. Oddo di Colonna, so sein
 bürgerlicher Name, ist wahrlich kein Heiliger, sondern eher ein
 Beweis dafür, dass in den Zentren der Macht ein beständiger
 Reformbedarf besteht.
 
 Doch mit Papst Martin V. gelingt am Konzil von Konstanz die
 während Jahrzehnten erhoffte ssberwindung der Kirchenspaltung
 (abendländisches Schisma) mit zuvor drei konkurrierenden
 Päpsten. In allen Städten, die Martin V. auf seiner Reise
 nach Rom besucht, wird auf seine Anordnung hin fortan jeden Freitag
 während einer Stunde eine Glocke geläutet. In Schaffhausen
 erhält sie, in Anspielung auf den vorgeschriebenen Fleischverzicht,
 den Namen "Chnöpfli"-Glocke. Als wohl einzige der ursprünglichen
 Freitagsglocken läutet sie noch immer, wenn auch nur noch
 während dreier Minuten: Der vielleicht älteste Brauch der
 Region Schaffhausen ist seit 606 Jahren ein wöchentlich hörbarer
 Ausdruck des geeinten Christentums und damit auch der sskumene.
 
 Allerheiligen als Eigenkloster
 
 Sieht man von der Flucht des abgesetzten Papstes Johannes XXIII. im Mai
 1415 ab, so hat nur noch ein Oberhaupt der Christenheit Schaffhausen je
 mit seinem Besuch beehrt: Papst Leo IX. im Jahr 1049.
 
 Die St.-Anna-Kapelle von aussen.
 
 Damit befinden wir uns in der Phase der Stadtgründung und
 des Aufschwungs der vor allem im Zürichgau begüterten
 Eberhardinger. Der Salierkönig Heinrich III., der von 1039
 bis zu seinem Tod 1056 über das römisch-deutsche Reich
 herrscht, verleiht Graf Eberhard VI. von Nellenburg am 10. Juli 1045
 das Münzrecht für Schaffhausen, dies ausdrücklich
 "aus Liebe zu der Königin Agnes, unserer geliebten Gemahlin,
 und auf ihre Bitte hin". Dass später Ita von Nellenburg ein
 St.-Agnes-Kloster gründet, ist sicher kein Zufall, sondern deutet
 auf verwandtschaftliche Beziehungen hin. Und auch der Oberelsässer
 Bruno von Egisheim-Dagsburg, Bischof von Toul, der am 12. Februar 1049
 als Leo IX. zum Papst gewählt wird, ist, mütterlicherseits wohl,
 mit den Nellenburgern verwandt.
 
 Nur gut ein halbes Jahr später wird der Papst gebeten, auf
 der Durchreise von Basel auf die Reichenau in Schaffhausen den
 Platz für das geplante Salvatorkloster zu weihen. Das kann
 nicht überraschen. Von Vorneherein ist jedenfalls klar, dass
 die bescheidene Stadtburg, von Kurt Bänteli im Oberhaus beim
 Obertor identifiziert, nicht ausreichen würde, um die Umsetzung
 der weitreichenden Visionen des Grafenehepaars Eberhard und Ita von
 Nellenburg vor Ort zu kontrollieren. Die Ambitionen der Nellenburger mit
 ihrer neuen Stammburg bei Stockach zielen primär auf die Kontrolle
 der Nord-Süd-Achse von Zürich über Schaffhausen in den
 Neckargau (1059 Münzrecht für Kirchheim) und eher weniger noch
 auf die später wichtig werdende Ost-West-Verbindung auf dem Rhein.
 
 Nellenburger kämpfen um ihr Seelenheil
 
 Zum Zeitpunkt der päpstlichen Weihe am 22. November 1049 steht zwar
 nur die Auferstehungskapelle (Urständskapelle), vielleicht sogar
 nur deren Altar, doch das ist nicht relevant. Graf Eberhard besitzt klare
 Vorstellungen von seinem Eigenkloster, über dessen Geschicke er fast
 uneingeschränkt verfügt und das er von Luitpold, dem Erzieher
 seiner acht Kinder, realisieren lässt: ein Säulenhof (Atrium)
 mit Salvatorkirche, daran angrenzend die Nellenburger Familiengrablege
 sowie ein rautenförmiger Kreuzhof mit zwei Zentralbauten und der
 Auferstehungskapelle am Scheitel.
 
 Das rekonstruierte Stiftergrab im Grossmünster zu Allerheiligen.
 
 Die Anordnung erinnert an das Christusgrab in Jerusalem, und wer, wie
 die Nellenburger, in Analogie zum Golgotha-Hof begraben wird, zählt
 am Jüngsten Tag zu den Auserkorenen.
 
 Die Klosterkirche wird wohl 1057 geweiht, die endgültige
 Fertigstellung dieses ersten Salvator- und Allerheiligenklosters
 mit Einweihung durch Bischof Rumold von Konstanz wird aber erst am
 3. November 1064 erfolgen. In der Münsterkirche veranschaulicht ein
 vom Museumsverein gespendetes Tastmodell des Modellbauers Attila Kasza
 die erste Klosteranlage.
 
 Investiturstreit ab 1073
 
 Während der Bauzeit sind zunächst Papst Leo IX. (1054) und
 wenig später auch Kaiser Heinrich III. (1056) verstorben, doch am
 Kräfteverhältnis ändert sich dadurch vorerst wenig. Die
 Salier haben nach wie vor alles im Griff, Kaiserin Agnes von Poitou
 regiert bis 1061 für ihren minderjährigen Sohn Heinrich IV.,
 und noch immer sitzen in Rom sogenannte "deutsche Päpste" auf
 dem Heiligen Stuhl. Auch wenn eine gewisse Abhängigkeit dieser
 Päpste von der weltlichen Macht (Imperium) besteht, realisieren
 sie gleichzeitig doch erste Reformen, etwa in Bezug auf den ssmterkauf
 (Simonie). Die kirchliche Macht (Sacerdotium) wächst, der
 Emanzipationsprozess ist angestossen.
 
 
 Erst mit der Wahl des Hildebrand von Soana, Mönch aus Cluny, zum
 Papst Gregor VII. am 22. April 1073 bricht aber der Machtkampf zwischen
 Krone und Kirche offen aus. Er wird Investiturstreit genannt, weil es
 darum geht, wer die wichtigen kirchlichen Würdenträger in ihr
 Amt einkleiden darf. Allgemein bekannt ist der Bussgang von König
 Heinrich IV. nach Canossa, wo er sich 1076/77 der Autorität
 des Papstes unterwirft. Doch so eindeutig ist die Situation nicht,
 während insgesamt knapp 50 Jahren ist es ein Hin und Her, erst
 im September 1122 kann der Streit fürs Erste beigelegt werden
 (Wormser Konkordat).
 
 Der Investiturstreit spaltet nicht nur das Land, sondern auch einzelne
 Familien, so vermutlich auch die Nellenburger. Allerdings erschwert
 die dürftige Quellenlage eine eindeutige Interpretation. Nach
 zwei Romreisen unternimmt Graf Eberhard VI. von Nellenburg 1070
 eine Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela und zieht sich danach
 mit seiner Gemahlin Ita in sein Kloster in Schaffhausen zurück,
 welches damals als Doppelkloster für Männer und Frauen angelegt
 ist. Ein solcher Rückzug nach ssbergabe der weltlichen Macht an
 die nächste Generation ist bei den Eberhardingern kein Einzelfall.
 
 Warum wechselt Burkhard die Seiten?  Eberhard und Ita, an deren
 Frömmigkeit nicht zu zweifeln ist, scheinen noch ganz oder doch
 weitgehend dem alten Machtsystem mit einem starken Königs- oder
 Kaiserhaus verbunden zu sein. Dasselbe gilt für die Söhne
 Heinrich und Eberhard VII., die beide am 9. Juni 1075 während
 der (erfolgreichen) Schlacht an der Unstrut in Thüringen
 fallen. Auch Sohn Uto, Erzbischof von Trier, stirbt am 11. November
 1078 in kaiserlichen Diensten bei der Belagerung von Tübingen;
 allerdings scheint Uto doch ein Mann des Ausgleichs, ein Brückenbauer
 zwischen den sich verhärtenden Fronten, gewesen zu sein. Eindeutig
 auf päpstlicher Seite befindet sich Sohn Ekkehard, der von 1071
 bis 1088 als Abt des Klosters Reichenau in der Bodenseeregion sehr
 einflussreich ist.
 
 Das Grossmünster zu Allerheiligen von innen.  Es bleibt
 Burkhard III., der nach dem Klostereintritt Eberhards dessen weltliche
 Nachfolge antritt und 1077 erstmals als Graf bezeichnet wird. Burkhard
 III. vollzieht ab 1080 die Hinwendung des Klosters Allerheiligen zur
 päpstlichen Reformpartei, seine innere Haltung in den Jahren zuvor
 ist jedoch schwierig einzuschätzen. Unterstützt er seinen
 Vater beim Plan, in Schaffhausen eine fünfschiffige Memorialkirche
 zu erbauen, oder ist er, zusammen mit seiner Mutter Ita, gar die
 treibende Kraft nach dem " nicht datierbaren " Ableben von Eberhard
 VI.? Wie dem auch sei, hätte man damals ab 1078/80 diese Pläne
 vollständig umgesetzt, Schaffhausen würde heute in Bezug auf
 Sakralbauten mit an der Spitze Zentraleuropas stehen.
 
 Die geplante Kirche hat sich gemäss Professor Hans Rudolf
 Sennhauser in ihrem Grundriss an der Kreuzbasilika beim Grab Christi
 in Jerusalem orientiert. Die Fundamente sind gelegt und noch immer
 im Boden aufzufinden, doch ehe der Bau richtig beginnt, vollzieht
 Burkhard III.  den angedeuteten radikalen Kurswechsel und wendet
 sich der päpstlichen Seite zu. Geschieht dies, jetzt da der
 Vater verstorben ist, aus eigenem Antrieb? Ist darin der Einfluss
 seines Bruders Ekkehard, des Abts von Reichenau, zu verspüren,
 oder gibt es andere Gründe? Ab März 1080 steht jedenfalls der
 Reformabt Wilhelm von Hirsau auch dem Kloster Allerheiligen vor, ehe er
 zwei Jahre später dieses Amt seinem Vertrauten Siegfried, ebenfalls
 aus Hirsau stammend, übergibt. Am 3. Mai 1080 bestätigt Papst
 Gregor VII. höchstpersönlich Allerheiligen die freie Abt-
 und Vogtwahl und die direkte Unterstellung unter den jeweiligen Papst.
 
 Der Einfluss von Hirsau Genauso wie Hirsau die Schwester von Cluny im
 Schwarzwald ist, ist Allerheiligen nun die wohl wichtigste der rund
 120 Tochterkirchen Hirsaus. Dies zeigt sich auch im Kirchenbau. Es
 entsteht das heutige Münster, die grösste romanische Kirche
 der Schweiz. Allerdings sind weder das Datum der Grundsteinlegung
 noch jenes der Bauvollendung überliefert. 1106 befindet sich das
 Kirchenschiff (gemäss Dendrodaten) noch im Bau, 1110 spätestens
 hat Bischof Gebhard von Konstanz die Kirche geweiht. Doch auch danach wird
 weitergebaut. Während der Kreuzgang " auch er der grösste der
 Schweiz " zeitnah entsteht (eingemauerte Auflagehölzer von 1106),
 wird der Münsterturm mit seinen Elefanten als Sockelrelief erst um
 1150 gebaut.
 
 Trotz all der Kämpfe zwischen Papst und Kaiserpartei blieb die
 Bausubstanz des Münsters weitgehend erhalten.  Die Münsterkirche
 orientiert sich an der etwa gleichzeitig errichteten Kirche St. Peter
 und Paul in Hirsau beziehungsweise an den frühchristlichen
 Säulenbasiliken in Rom. Auffallend ist die auf Bauornamente
 weitgehend verzichtende asketische Ausführung. Trotz der glatten
 Wände gelingt dank weiten Schwibbögen in der Vierung
 eine monumentale Raumwirkung. Das Mittelschiff wird von zwölf
 mächtigen Säulen aus Rorschacher Sandstein, die Apostel
 verkörpernd, getragen. Charakteristisch sind die sogenannten Hirsauer
 Nasen: kleine Dreiecke, die entstehen, wenn bei den Würfelkapitellen
 zwei Bogenschildflächen aneinanderstossen.
 
 Kaiserpartei bleibt stark Das beeindruckend dastehende Kloster
 Allerheiligen täuscht hinweg über die in Schaffhausen
 während längerer Zeit vorherrschende Pattsituation zwischen
 der Papst- und der Kaiserpartei. Das am 26. Januar 1092 erstmals
 erwähnte, von Ita von Nellenburg gestiftete und geleitete
 Nonnenkloster St. Agnes (heute Alterszentrum Kirchplatz) kann als Indiz
 für das Erstarken der Kaisertreuen angesehen werden. Jedenfalls
 wird 1093 Allerheiligen von seinen Gegnern derart bedrängt,
 dass Abt Siegfried die Verlegung nach Frankreich in Erwägung
 zieht. Siegfrieds Tod im Oktober 1096 dürfte die Stellung des
 Klosters weiter geschwächt haben. Dafür spricht die vergebliche
 Bittprozession der Mönche 1098 vor die Stadtburg des Nellenburger
 Vogts, die gewaltsam aufgelöst wird " zu Zeiten, als Burkhard
 III. noch lebt "
 
 Bei allen Kämpfen und Rivalitäten zwischen der Papst- und
 der Kaiserpartei ist aus heutiger Sicht vor allem eines wichtig: Die
 wertvolle Bausubstanz ist weitgehend erhalten geblieben.
 
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